Lysistrata Klartext Monolog
Ihr führt Krieg gegeneinander – Athen gegen Sparta. Sparta gegen Athen. Habt ihr sie noch
alle? Sind wir nicht alle Hellenen? – Griechen schlagen Griechen die Köpfe ein. Könnt ihr
nicht einfach mal miteinander reden? Was hindert euch daran? Ihr sprecht doch dieselbe
Sprache. Selbst wenn es unterschiedliche Dialekte sind. In jedem Land finden sich kluge
Menschen, Parlamentäre, Dolmetscher, Diplomaten. Was hindert euch, auf friedliche Weise
miteinander zu streiten? Die Konflikte beizulegen. Das bringt ihr nicht? Nicht mal die
einfachsten Sachen kriegt ihr hin? Wenn ihr das nicht könnt – überlasst uns die Politik. Ruhe.
– Was murmelt ihr? Haltet endlich mal die Klappe. Jetzt reden wir. Lange genug haben wir
euch die Bühne überlassen. Fortan übernehmen wir die Verantwortung. Und wir werden es
nicht so idiotisch anfangen wie ihr. – Wer ist denn verantwortlich für diese unselige Politik?
Wir doch nicht. Wer hat beschlossen, noch einmal 100 Milliarden Talente in die Kriegs-
Rüstung zu stecken? Zu all dem andern dazu, was das Militär so schon verschlingt. Als ich das
hörte, habe ich gedacht, es hakt bei mir aus. Ich bekam einen furchtbaren Schreck. Ich
wusste, ich muss unbedingt etwas tun. – Habt ihr es immer noch nicht kapiert? Waffen
schaffen keinen Frieden. 100 Milliarden Sondervermögen für den Moloch! Ihr habt doch
bestimmt vorher mal ausgerechnet, wie viel das alles zusammen macht. Wie viel ist es? 1000
Milliarden, 10.000, 100.000? Eine Millionen Milliarden, eine Milliarde? Kann einer von euch
Schlauköpfen diese Zahl bitte mal aufschreiben? Habt ihr in der Schule nicht aufgepasst?
Eine Milliarde, das ist eine 1 mit neun Nullen. 1000 Milliarden, das sind dann 12 Nullen. Wie,
ihr wisst nicht, wie viel das ist? Die Nullen seid ihr selbst? Seid ihr denn völlig ohne Verstand?
Ihr beschließt etwas, wovon ihr selbst nicht wisst, was es bedeutet? – So eine Riesenzahl von
Talenten wollt ihr vergeuden – um Krieg und Zerstörung zu finanzieren? Mensch, ihr habt
überhaupt kein Talent! Was könnten wir damit alles anfangen, wenn wir es zu friedlichen
Zwecken einsetzen! Wenn es nur das Geld wäre. Das ließe sich ja irgendwie aufbringen
durch Fleiß und Sparsamkeit. Aber was schafft der Krieg? Was bringt er zum Blühen? Was
baut er auf? Ich will es euch sagen: Nichts, nichts, nichts. Er ernährt nur sich selbst wie ein
Krebsgeschwür. Er zerstört alles, was wir gemeinsam in friedlicher Arbeit geschaffen haben
über Generationen. Das Land wird verwüstet. Die Städte werden zerstört. Die Wälder
verbrannt. Die Felder werden zerstampft oder bleiben ganz ohne Bestellung. Wovon sollen
wir leben, wenn der Boden brach liegt und ihr die Saaten zertrampelt ohne Sinn und
Verstand, die wir im Frühjahr sorgsam ausgebracht haben? – Und was macht ihr mit unseren
Männern? Mit unseren Söhnen? Ihr verheizt sie einfach. Ganze Generationen von Männern
werden sinnlos hingeschlachtet. Was faselt ihr von Heldentum? Leckt mich doch am Arsch
mit eurem Heroismus. Wir wollen keine Helden. Und schon gar nicht solche Trottel wie euch.
Ihr habt vier Wochen nicht gevögelt und tut gleich, als müsstet ihr sterben. Wisst ihr, was es
heißt, ein Kind zu gebären? Das ist Heldentum. Ihr scheißt doch auf das Leben, das so
wertvoll ist. Das Leben ist unser kostbarstes Gut. Jedes lebende Wesen ist heilig. Das Leben
ist wertvoller als alles andere auf der Welt. Alles müssen wir tun, es zu schützen, zu erhalten,
zu hüten. Jedes Leben, auch das kleinste, das ihr nicht mal seht, weil ihr einfach darüber hin
trampelt. Wer das nicht versteht, soll niemals mitregieren dürfen in keinem Staat auf der
Welt. Aber ihr tut immer gleich beleidigt, wenn mal eine andere Meinung geäußert wird,
zieht das Schwert aus der Scheide und schlagt drauf los ohne Sinn und Verstand. Je mehr ihr
mordet, desto mehr kommt euch der Respekt vor dem Leben abhanden. Und was wird aus
uns? Ich meine uns Frauen. Darum kümmert ihr euch überhaupt nicht. Ich will es euch
sagen, ihr hirnamputierten Vollpfostenkrieger: Wir müssen fliehen. Wir werden ins Elend
getrieben. Frauen, Kinder, Alte. Wir wollen den Krieg nicht. Wir beteiligen uns nicht daran.
Aber wir müssen am meisten darunter leiden. – Wenn ihr schon nicht rechnen könnt, wie
wär‘s mal mit Lesen. Oder seid ihr nicht nur Diskalkoliten, sondern auch Analphabeten? Habt
ihr gar nichts in der Schule gelernt? Was schreiben unsere Dichter? Gibt es einen unter
ihnen, der den Krieg lobt? Das wisst ihr nicht? Ihr seid ja schöne Kulturkrieger. Ihr kennt die
Geschichte und die Geschichten des eigenen Landes nicht einmal? – Wovon berichtet
Homer? Über den grausamsten Krieg aller Zeiten. Ihr lest wohl nur Bilderbücher mit
posierenden Supermännern. Die Wunden, das strömende Blut, den qualvollen Tod, davor
verschließt ihr die Augen? Die wollt ihr nicht sehen? Gerade diese Dinge hat Homer so
deutlich geschildert wie kein anderer. Habt ihr die Ilias nicht gelesen und die Odyssee? Zehn
Jahre vertierten die Männer vor der Stadt im Dreck, bis endlich alles tot und vernichtet war.
Die Stadt zerstört. Die Männer ermordet. Die Frauen geschändet. Und was hatten die Sieger
von ihrem Triumph, den sie nur ihrer List und Falschheit verdankten? Traumatisiert irrten sie
auf der Welt umher und konnten nicht nach Hause finden. Einer kam heim, und der brauchte
10 Jahre für den Rückweg, der bei gutem Wind keine drei Tage dauert. Ich will euch sagen,
was mit dem war: der war völlig im Arsch. Was heißt hier traumatisiert? Er traute sich nicht
nach Hause, der Flachwichser. Wahrscheinlich hatte er Schiss vor Penelope. Wie kann man
so blöd sein und in den Krieg ziehen, wenn man so eine Frau hat. Und dann diese Freier, die
waren echt die Zumutung. In Ithaka leben scheinbar überhaupt nur Doofe. Penelope war
doch die beste Königin, die das Land je hatte. Aber eine Frau durfte das Land nicht
beherrschen. Verfassung nennen die das. So was Beklopptes! Überall auf der Welt gibt es
Hunger, Not, Dürre. Darum müssen wir uns kümmern. Durch Krieg lösen wir keine Probleme.
Macht endlich Frieden. – Was steht ihr da wie die Ölgötzen? Ihr starrt mich an wie die
göttliche Offenbarung und wollt, dass ich euch Bescheid gebe. Lysistrata, was machen wir
jetzt? Wie soll es weitergehen. Lysistrata hier, Lysistrata da. Seid bescheiden. Das ist mein
Bescheid. Lernt endlich Respekt vor dem Leben. Es gibt keine Feier. Die Party fällt aus. Geht
still nach Hause. Kümmert euch. Macht Frieden mit euren Frauen, Männern, was immer.
Seid dankbar für die Liebe, die euch geschenkt wird, für das Leben, für jeden Tag, jede
Stunde, jeden Augenblick. Er ist einmalig. Nutzt ihn nach Kräften. Ihr bekommt nur diese
eine Chance. Leben ist Frieden. Krieg ist Tod. Wahrer Frieden braucht keine Waffen.
Name der Autorin/des Autors
Aristophanes, Lysistrata. Bearb. Klaus-Peter Möller (Potsdam 2022)
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