Besuch bei Nareka

Besuch bei Nareka                  

Ingeborg Struckmeyer

Das Haus ist in Fertigbauweise gebaut. Es hat ein flaches Dach, auf dem die Hitze liegt wie dichter Nebel. Barfüßige Kinder mit Schniefnasen quellen aus der Tür, betrachten mich neugierig, greifen nach mir.

Eines davon, ein kleiner Junge mit Augen wie Teer im dunklen Gesicht, könnte Narekas Sohn sein. Ähnlichkeiten sind da, aber ähnlich sehen sie sich alle, wenigstens für meine von Vorurteilen belasteten Augen.

Ich zwänge mich an stinkenden, übervollen Mülltonnen vorbei, quäle mich durch die Kinder in den Eingangsraum, der kahl und grau und heiß ist.

An einem Tisch sitzt eine Frau, nicht jung, nicht alt, eine Deutsche, das sieht man.

Ich frage nach Nareka. Die Frau nickt nach links, wo ein fensterloser Gang sich im Trüben verliert.

Die Hitze drückt auf meine Schläfen. Eigentlich will ich wieder gehen. Nur weil Nareka auf der Teutoburger Straße – direkt unter meinem Fenster – von Skinheads zusammengeschlagen wurde, brauche ich sie noch lange nicht zu besuchen.

Meine Füße bringen mich zu einer Tür, an der mit Heftzwecken ein Zettel befestigt ist. Nareka Pachadi lese ich und finde keinen Grund mehr nicht anzuklopfen.

Die Stimme, die mich hereinbittet, klingt blass, blass wie Narekas Haut unter ihrer gottgewollten Bräune.

Nareka liegt im Bett. Sie scheint stärkere Kopfschmerzen zu haben als ich, aber ihre Augen wachen auf, als sie mich sieht. Sie erhebt sich, mühsam, als müsse sie statt einer dünnen Decke einen Felsbrocken beiseite schieben.

Ich sehe mich im Zimmer um. Jede Wand ist in einer anderen Farbe gestrichen. Nicht etwa krankenhauspastell, sondern schreiend bunt wie die Farben im Malkasten meiner Tochter. Zinnoberrot, sonnengelb, grasgrün, königsblau. Die Decke ist pelikanweiß.

Mein Blumenstrauß erbleicht, als ich ihn auf das gemusterte Tischtuch lege, in dem sich die Wandfarben wiederholen. Nareka sieht mich an. „Meinem Sohn gefällt es“, fordert sie mich heraus.

„Mir auch“, sage ich und wundere mich, dass es die Wahrheit ist.

Name der Autorin/des Autors
Ingeborg Struckmeyer
Besuch bei Nareka

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