Der Tag, an dem sie vom Himmel fielen
Als er vor die Tür trat, zogen sich die Wolken zusammen wie Brauen in einem wütenden Gesicht. Die Sonne dahinter konnte nur erahnt werden. Er zog den Mantel fester um sich und ging los. Ein bestimmtes Ziel hatte er nicht. Seine Füsse trugen ihn ohne sein Zutun dem Wald entgegen, dem Wald, den er mit dem Hund immer besucht hatte. Einen Namen hatte er ihm nicht gegeben; für ihn war er immer „der Hund“ gewesen. „Komm her, Hund!“, „Sitz, Hund!“ und „Halt’s Maul, Hund!“. Oder wenn er ihn wedelnd zu Hause willkommen hiess: „Guter Hund!“. Man könnte behaupten, dass er den Hund gemocht hatte. Der Hund hatte etwas, das den meisten Menschen fehlte. Er nahm den Tag, wie er kam, und glaubte dabei, dass die Welt morgen noch genauso gut sein würde wie heute. Der Hund wollte auch nicht viele Worte von ihm, nur Essen und Spaziergänge. Doch dann war der Hund aus seinem Leben geschieden, genau so wortlos, wie er gekommen war. Und jetzt war er wieder alleine.
Er begegnete niemandem und das war ihm recht. Es grüsste ihn ja doch niemand, weil er ja doch nie zurück grüsste, nie den Mund öffnete. Was die anderen über ihn dachten, wusste er nicht, und er wollte es auch nicht wissen. Sie kamen einfach nicht, die Worte. Andere schienen manchmal so viel davon zu haben, dass sie gar nicht wussten, wohin damit. Dann streuten sie die Worte in alle Himmelsrichtungen, liessen hier und da eins fallen und kümmerten sich nicht darum, ob sie gehört wurden oder unbeachtet liegen blieben. Wieder andere wählten ihre Worte sehr gezielt, spannen sie wie Netze um die Menschen. Auch ihnen gingen sie nicht aus. Nur er fand keine Worte, nicht für die Verkäuferin, nicht für den Nachbarn, nicht für das Loch in seiner Brust.
An diesem Tag jedoch, als ihm nichts in der Welt geblieben schien als ein Spaziergang im Wald, begann es. Er hörte das Tropfen in den Blättern, bevor er es spürte. Ein einzelner fiel auf seinen Hut, rutschte ab und landete deutlich lesbar auf dem Kies. A. Dort im Ast hingen ein N und ein M, vor seinen Füssen landete ein E und gleich darauf ein I. Hastig wischte er ein S von seinem Mantel, doch es fielen immer mehr vom Himmel herab. Er machte sofort kehrt. B, K, U, T, R, Q. Es tropfte nicht mehr, es prasselte. Er schwang seine langen Beine vorwärts, doch das Gewitter wurde immer heftiger.
Bald bildeten sich Pfützen. Als sein Stiefel in einer landete, schwappten die Buchstaben über den Kiesboden und paarten sich zu Silben zusammen. Hu, Mi, Al, Wei. Bei dem Anblick schnürte sich ihm die Kehle zusammen. Er eilte weiter und versuchte zu ignorieren, wie auch die Zeichen in der Luft sich zu finden begannen und zu Einheiten verschmolzen. Es geschah ihnen einfach; als könnten sie gar nicht anders.
Aus den Silben wurden Wörter, Fluss, alt, Hund, weinen, mit. Er spürte sein Herz klopfen und seine Sinne schwinden. Warum jetzt?
Dann blieb er abrupt stehen. Sein Atem rasselte im Einklang mit den herabfallenden Worten. Ganz langsam nahm er den Hut vom Kopf. Einige Wörter klatschten auf sein dünnes Haar und rannen an seinem Gesicht herunter. Fremd, schillernd, tauchen. Ein kleines um kitzelte ihn im Nacken.
Er schloss die Augen und wartete, bis sein Atem sich beruhigt hatte. Als er sie wieder öffnete, merkte er, dass der Hut in seiner Hand sich mit Wörtern gefüllt hatte. Heute, neu, blau, Welt, ist, die, singen… Mit einer ungestümen Bewegung riss er den Hut an seine Brust und rannte zu seinem Haus zurück. Er zog nicht einmal die Schuhe aus. In einer der Schubladen musste es sein. Er fand das Buch, rannte in die Stube und leerte den Hut auf dem Teppich aus. Dann kniete er sich hin und begann die Wörter zu sortieren, bis sie Wortketten bildeten. Die Welt ist heute neu. Er konnte es fast nicht glauben. Dennoch sprang er auf und suchte Leim. Den schmierte er auf die Rückseite der Wörter und klebte sie in das Buch, Wort für Wort, in der richtigen Reihenfolge. Er schaute sein Werk an und staunte. Da waren sie, die Worte.
Er lachte auf, packte seinen Hut und rannte zur Tür hinaus.