Heta will mir alles über die Liebe beibringen. An dem Steg vor dem Wirtshaus lassen wir die Beine baumeln und warten auf das Fischerboot des alten Blode.
-Ich weiß nicht, ob es die Liebe überhaupt gibt. Ist es nicht nur das Licht und die Farbe, schau doch nur. Sage ich.
Das Sonnenlicht funkelt auf dem Weißwasser, das an den Kiesstrand flutet und in Schaumstreifen auf die Eiskristalle ausläuft.
-Ist es nicht so, dass sie kommt und geht? Jeden Tag? Also bleibt sie doch. Sagt sie.
-Es gibt keine Gewähr für das Heimkommen, sage ich und zeige auf die aufgewühlte See.
Auf dem Wasser bläht der Wind die viereckigen Segel und peitscht die flachen Kähne mit dem hochgezogenen Bug. Am Himmel treibt er die Wolkenschafe wie eine Herde.
-Es ist doch sowieso nichts sicher. Nur manchmal hat man etwas mehr Glück oder mehr als sonst. Sage ich.
Ich schließe die Augen und hinter meinen Lidern geistern sandgelbe, malvenfarbene, lavendelblaue und silbergrüne Spritzer, bereit, sich auf einer leeren Leinwand zu verlaufen. Nicht vergessen darf ich, die Fläche mit Kohle in sechzehn Quadrate aufzuteilen, so wie mir Professor Pfeiffer das solide Handwerk beigebracht hat. Sonst verliere ich mich.
-Du grübelst zu viel. Ich sehe, wie sich deine Augen unter den Lidern bewegen. Sagt sie.
-So, siehst du das? Frage ich.
-Ich sehe, wie sich deine Stirn kurz unterhalb des Haares hebt, wenn du nachdenkst. Außerdem zittert die Haut über den Backenknochen.
Während sie spricht, habe ich die Skizze schon entworfen. Sie hält das Gesicht gesenkt (3C), so dass der offene Blick leicht von unten aufsteigt (2B). Ihr blondes Haar trägt sie links gescheitelt (1C) und sie hat ebendieses hellblaue Kleid (3D,4 A-D) an mit der weißen Bluse im Mieder (4 B,C,D). Für das passende Lippenrot (B3) habe ich noch keinen Einfall, ich denke an etwas Fruchtiges. Auf keinen Fall aufreizend.
– Du hast nur Gemälde im Kopf. Die fühlen sich nicht an. Hängen rum und schauen zurück. Sagt sie.
-Malen hat nichts mit Liebe zu tun. Sage ich.
Portaits interessieren mich nicht. Für Landschaftsmaler gibt es einen Markt in Königsberg. Wasser, Himmel, Sand, Wellen. Fischerboote. Vielleicht auch ein Elch in der Niederung. Da sind die ganz wild drauf. Der alte Lovis hatte sich schon früher bei Hermann Blode eingemietet. War ganz versessen auf diese Küste. Er tupft eher als er Pinselstriche ausführt. Jetzt haben sich Max und Karl angekündigt.
-Gefühle haben auch Farben. Alle Bilder werden einmal verschwinden. Gefühle sind in dir drin. Dann soll deine Kunst wenigstens ein Spiegel deiner Seele sein. Sagt sie.
Ein Aufflammen an meinem Unterarm bei ihrer Berührung. Hedwig hat Sonnenbrand auf den Armen, aber im Gesicht ist sie blass. Sie wagt nicht, den Hut mit der runden Krempe abzusetzen, löst jedoch den ersten Knopf ihrer Bluse. Sie rupft einen Grashalm ab, lang und geschmeidig wie er ist, spannt ihn zwischen Zeigefinger und Daumen der linken Hand. Zwischen zwei Daumen gepresst, pfeift sie einen hohen Ton. Ein schrilles Fiepen.
-Wie ein Vogeljunges, das nach Futter schreit. Sage ich und muss lachen.
Hinter uns liegt der kleine Friedhof, vor uns das Haff und die Möwen.
-Der Wind bläst in Richtung Samland. Da wird der Onkel noch dagegen ankreuzen dürfen, bis er mit dem Fang nach Hause kommt. Sagt Sie.
Lachend wirft sie die Arme in die Luft. Das helle Haar weht ihr in den Mund. Dann wird sie ernst und der Strahlenkranz um ihre Augen glättet sich.
-Die Kunst ist lang! Sage ich. Versprochen?
-Und kurz ist unser Leben. Lacht Heta. Auch versprochen?
Wir springen gleichzeitig auf. Ich umarme sie. Dann klettern wir über den Zaun des Friedhofes. Abseits der Gräber legen wir uns auf ein Sandthymiankissen. Die Füße zeigen zum Haff genauso wie die moosig verwitterten Totenbretter.
-Das muss so sein, denn so werden wir auch einmal liegen. Bis in die Ewigkeit. Und wenn wir auferstehen, tun wir uns leichter, weil wir gleich Bretter unter den Füßen haben. Du wirst schon sehen. Sagt Hedwig.
Ich rücke bis auf einen halben Meter an sie heran. Noch liegen wir wie Bruder und Schwester.
-Weißt du, dass Eiche, Birke und Esche männlich sind? Fragt sie.
-Und was ist weiblich? Frage ich.
-Tanne, Espe und Linde. Und ich. Sagt sie und entblößt ihre Zähne. Kannst ja das malen.
Sagt sie und zieht mir den Pinsel aus dem Gürtelköcher, führt den Strich mit dem Dachshaar von meinen Fingerspitzen auf meinem Armflaum entlang bis zum Ellenbogenköpfchen. Hält inne. Schwingt über den Muskelbauch und streift meine Schlüsselgrube. Sie klemmt mir ein Moosglöckchen hinter das Ohr. Eine Hand legt sie unter mein Gesicht, und streichelt meine Bartstoppeln. Die Luft ist heiß und kühl zugleich, riecht nach ebendiesem Moosglöckchen und Mondraute und nach einem Sommer, der nie zu Ende gehen würde.
-Ich verspreche es dir, Heta. Sage ich und muss niesen. Heta lacht.
Zuerst ertönt ihr Pfiff. Dann ihr Lachen. Wenn wir uns finden, legen wir uns in die gleiche Kuhle unter die Schwarzerle, schmiegen uns tief in den Sandboden. Später zieht es uns auf den Schwiegermutterberg, ungeachtet der Sanddornranken.
Bis zum Johannistag dauert es, dass Heta ihren Rock höher schiebt. So laut sie auch sonst lacht oder pfeift: Als ich zum ersten Mal zu ihr komme, liebt sie mich leise. Als lägen wir immer noch auf dem Friedhof.
Hinterher klettere ich auf die Hohe Düne. Heute hat sie das Gesicht eines Pferdekopfes. Strahlend gelb und silbrig wie sie ist, als sei sie extra aus der Sahara angereist, setze ich meine Staffelei obenauf. Das Licht und die von ihm aufbereiteten Farben aufsaugen, die weit gespannte Wasserfläche mit den Dunkeltönen des Haffs und zu beiden Seiten der nur schmale Sandstreifen. Die Holzhäuschen, die Dächer mit Giebeln mit überkreuzten Pferdeköpfen und Vogelgestalten und den kurischblauen Windbrettern. Erst die Komplementärfarben, blau und rot und gelb und grün. Der Goethesche Farbenkreis. Nichts da, es bleibt nicht dabei. Apfel- und Pflaumenblüten, Phlox, Malven und Dahlien wachsen mir zwischen meine Kohlestriche. Farben, in denen ich ertrinke. Tief im Süden des Reichs haben sie Berge und Rehe blaugemalt. Aber diese Lichtlandschaft hier ist das Elementare. Ein einziger Leuchtkörper, ein Dasein im Ganzen. Diesen Ort vermisst man, auch wenn man niemals da war.
Vorerst gehorcht mir der Pinsel nicht, bis ich ihn begreife. Überall spähe ich nach Heta, das blaue Kleid flattert im Himmel, in der Böe weht ihr Haar, ja, ich höre ihr Lachen in jedem Blattgefächel, sogar in den Krähenschreien pfeift sie und ich führe den Strich im gleichen Schwung, Verharren und Kreisen, nur sich selbst genügend, wie Hetas Hand auf meiner Haut unterwegs ist. Mein Versprechen werde ich halten, nicht nur für den Sommer. Auch im Frost wird das Eis auf dem Haff nach Heta duften. Die sechzehn Quadrate sind längst übermalt, nur die Lippen sind ausgespart. Schmecken will ich den Kuss und probiere lange ¬– das Küssen und das Farbenmischen – bis ich dieses Hetarot auftrage, über das ich zum Schluss einen Bernstein reibe.
Bewundernswert, wie sich die Liebe gegen die Malerei zu behaupten bemüht, schließlich siegt und befruchtend auf die Malerei zurück wirkt. Literarisch und sprachlich gekonnt umgesetzt!
Ein duftendes Sandthymiankissen eine Geschichte zwischen Farben Mann und Frau. Ich tauche tief in sie hinein. Schön ist sie .
Eine Flut schöner Farbbänder!
1nice Literatur! Ehre!
„Auch im Frost wird das Eis auf dem Haff nach Heta duften. Die sechzehn Quadrate sind längst übermalt, nur die Lippen sind ausgespart. Schmecken will ich den Kuss und probiere lange ¬– das Küssen und das Farbenmischen – bis ich dieses Hetarot auftrage, über das ich zum Schluss einen Bernstein reibe.“
16 Quadrate, 16 Sterne, hier kann ich nur 5 Sterne dafür leuchten lassen.