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Von Andreas Wiehl

Das Positive zuerst: das Wunder dieses Hauses ist sein Garten. Wacholder und Kirsche, links ein hoher Walnussbaum, halb verdeckt durch Lorbeer und der rote Vogelbeeren tragenden Eberesche. Der sonnenüberstrahlte Rasen schwingt sich in leichten Hügelbewegungen zum Haus hinauf. Keine Stelle, von der aus man den Garten insgesamt überblicken könnte, doch immer wieder Einblicke, Licht und Schatten im Wechsel. Der kleine Teich nimmt genauso unaufdringlich seinen Platz ein, wie der Weg vor dem Kirschbaum, der am Nussbaum vorbei zur Spitze des Gartens führt; doch die sehe ich längst nicht mehr. Aber halt: der andere Nussbaum ganz hinten, links vom Pullover, tropfnass an der Wäscheleine hängend, lässt sich noch erkennen. Wäre ich jedoch fremd hier, wüsste ich nicht, dass dort der Garten zu Ende ist. Über mir schlagen die Blätter der Haselnuss aufeinander, was ferner geschieht, klingt wie Rauschen zu mir herüber.

Eine alte Frau steht gebückt vor einer roten Wanne. Zusammen mit ihrer Zugehhilfe wringen sie einen stockfleckigen Lumpen aus. Gestern hat sie ihn aus dem Garten eines teuren griechischen Restaurants mitgehen lassen. Er war mit Asseln, Spinnen und Milben übersät. Das Waschwasser soll einem neugekauften und frisch eingepflanztem Busch zu Gute kommen. „Halt! Nein! Doch nicht dem, dem anderen dahinter!“ höre ich es schreien, der ich der Zugehfrau beim Gießen helfe. Wir zwinkern einander heimlich zu und lachen leise über das absurde Tun. Der Lumpen wird später zu den 180 sauber gewaschenen Marmeladengläsern in die Garage gelegt werden, welche dort seit vielen Jahren auf ihren Einsatz warten.

Es liegt ein Geheimnis dem Garten zu Grunde, seiner reichen, leuchtend verborgenen Schönheit – und die Pensionszahlungen meines verstorbenen Vaters über mittlerweile bald vierzig Jahre.

Weil meine Mutter das Ganze nicht planen konnte, hat sie sich immer dem Nächsten gebeugt. Nun zwingt sie ihre osteoporos bedingte Skyphose, sich noch mehr zu beugen. Mit Hilfe eines Stockes tut sie das auch, mit einer seit vielen Jahren ungebrochenen Vitalität. Woher sie die nimmt, bleibt mir ein Geheimnis, vielleicht ebenso verborgen wie das Geheimnis ihres wunderbaren, und bis auf sein Rauschen so stummen Gartens. Vogelstimmen deuten nur an, was hier an menschlicher Sprache alles hätte gelingen können. Das zerreißt mir beinahe das Herz, mein aus fast ausschließlich banalen Flecken zusammengestücktes Herz.

Mit dem Verwunschenen ist so ver-dammt schwer auszukommen. Die gerade gewaschene Wäsche, von mir waren Hemd und Hose dabei, wollte ich draußen glätten, weil direkt an der Maschine kein Platz für uns beide war. Da überkam meine Mutter, die sich fügte, ein solches haderndes Klagen, und es erfüllte den Raum, wir gingen durch den Garten und das Klagen setzte sich an eine jede Blattspitze und verhinderte deren Flüstern.

An der Wäscheleine angekommen musste ich ganz bald meine kleinsten Wäschestücke, zwei Unterhosen, wieder abhängen, um sie an anderer Stelle, nicht mit einer, sondern mit zwei Wäscheklammern versehen, aufzuhängen. Dort hätten sie Sonne, sagte sie, nicht ohne die eine Wäscheklammer zu lösen und das – Verzeihung: ich sag es jetzt: das baumwollene, verschissene Stück an seinem oberen Ende ungedoppelt aufzuhängen. Weil es so schneller trocknet. „Ich weiß einiges besser als Du.“

Ich widersprach nicht, sondern sicherte ihr die Wahrheit ihrer ausgesprochenen Bemerkung zu und fühlte mich gleich elend dabei. Aber sollte ich mich ihrer Welt denn mit Stummheit widersetzen? Ich höre doch die Hinweise, die aus ihrer engen, unerlösten Seele sprechen. Sie führt sie an ganz kurzer Leine. Nur so kann sie sicher sein, ihre Hinweise nicht zu verlieren.

„Oh würde sie sie doch verlieren“, höre ich mich leise flüstern, und „was bliebe ihr dann noch?“ Gemeistert hat sie so ihr Leben nicht, bewerkstelligt schon. Nun ist es warm und es weht ein schöner Wind.

Kaum 10 Minuten vergangen nimmt sie bereits das erste Wäschestück ab. Ob es denn schon trocken sei? möchte ich wissen. Offenbar ist es so. Jedoch nur dieses; das nächste Stück, ein Spannbetttuch ist noch feucht. Sie wartet davor. Ich habe das Gefühl, ihr helfen zu müssen. „Ist sie nicht eine alte gebrechliche Frau?“

Später hebt sie mit bloßen Händen sieben bis zehn halbgetrocknete Blätter vom Verandaboden auf. In wenigen Wochen wird der Herbst Tausende davon fallen lassen. Ich aber denke jetzt, ich müsste ihr zu Hilfe eilen. Ich tue es nicht.

Nun aber gewärtige ich ihren Ruf, wohl kaum die Blätter betreffend, mit denen Sie durchaus alleine zurecht kommt, vielleicht aber gibt es einen losen Stein oder einen Eimer mit Gemüseabfällen. Nein, ich werde zu nichts aufgefordert; stattdessen kommt sie auf mich zu und legt mir eine kaum brustwarzengroße Wilderdbeere neben meine Schreibmaschine. Ich solle sie essen, sagt sie, und mit der anderen Hand deutet sie auf die Katze – ich vergaß zu erwähnen, dass sie seit geraumer Zeit neben meinem Stuhl friedlich ausgestreckt schlief – und bemerkt, wie still sie sei. Ja, sie ist wirklich sehr still und friedlich. Die Erdbeere aber, die kleine rote, auf dem blauen Plastiktischtuch rot ausgestreckt, mir fällt kein besseres Wort ein – wie wäre es, wenn sie nicht entdeckt worden wäre? Sie wäre verfault, verwest und der nächste Regen hätte sie vollständig aufgelöst und ihre kleinen Säfte in die Erde zurückgeführt. Nun aber ist sie in mein Leben getreten. Ich mag sie nicht essen.Einfach wirklich nicht.

Ich werde, wenn es Abend wird, sie behutsam nehmen und heimlich im Walde aussetzen.

Name der Autorin/des Autors
Andreas Wiehl
Link zur AutorInnen-Website
Rote Wilderdbeere

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