Ein Essay
Der 09. Mai 1950 war ein bedeutender Tag für Europa.An diesem Tag hielt Robert Schumann, der französische Außenminister in Paris, im Salon l`Hortage, die Gründungsrede zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), auch Montanunion genannt, die zur Geburtsstunde der Europäischen Union wurde. Angesichts der immer noch nicht beseitigten Trümmerlandschaft in weiten Teilen Europas eine visionäre Idee, die weit über die Ziele einer wirtschaftlich zollfreien Zusammenarbeit in Form gemeinsamer Kontrolle einheitlicher Produktionsstandards hinausging. Vordergründiges Ziel war die Vermeidung künftiger Kriege und die Aussöhnung Frankreichs mit Deutschland, die die Jahrhundert alte Erbfeindschaft zweier Nachbarvölker ein für allemal beenden sollte.
Der Schumann Plan, den der französische Außenminister in Zusammenarbeit mit Claude Monet, dem zweiten Gründungsvater der Europäischen Union, schuf, sah vor, die Zusammenlegung von Kohle- und Stahlproduktion der Überwachung und Regelung einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, die von den beteiligten Staaten ausgerichtet wird. Die supranationale Institution, die allen europäischen Staaten offen stand, wurde die erste Etappe zur europäischen Föderation. Dem EGKS Vertrag von Paris traten die sechs Gründerstaaten Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Belgien und Luxemburg bei. Wenn man bedenkt, dass aus den sechs Gründerstaaten im Lauf der Zeit eine Mitgliedschaft von 28 Staaten (aktuell 27) hervorging, kann man die herausragende Bedeutung ermessen, die die Europäische Union für Europa als eine Gemeinschaft europäischer Staaten mit gemeinsamen Wurzeln erfüllt.
Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung erfüllt die gemeinsame Währung des EURO. Neben der Flagge Europas mit den zwölf goldenen Sternen auf blauem Grund wurde der Euro zum Symbol der europäischen Integration. Die Vorteile im nationalen und internationalen Zahlungsverkehr sind offenkundig. Niemand braucht bei Auslandsreisen innerhalb der EU Geld umtauschen und in Fremdwährungen umrechnen. Die Transparenz der Preise ermöglicht dem Konsumenten jederzeit einen Preisvergleich bei innergemeinschaftlichen Waren. Die Zeit der Wechselkursschwankungen ist Geschichte. Der EURO festigt die Stabilität der Währung. Die einheitliche Währungspolitik fördert wirtschaftliches Wachstum und eine enge Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten. Der EURO wurde nach dem US Dollar zur zweitwichtigsten Reservewährung der Welt.
Doch es geht längst nicht mehr um wirtschaftliche Vorteile. Aus einer Wirtschaftsgemeinschaft ist eine Wertegemeinschaft geworden. In Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon vom 01.12. 2009 sind die Werte, zu denen sich die Gemeinschaft der EU verpflichtet, festgelegt. Sie lauten: Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Personen, die Minderheiten angehören. Als zusätzlich verpflichtende Werte werden Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichheit von Mann und Frau genannt. Auf dem Papier klingt das alles beeindruckend. Doch wurde es in der Praxis auch umgesetzt? Aufgrund der Pluralität nationaler Interessen fiel es den Mitgliedern nicht immer leicht, die selbstauferlegten Regeln einzuhalten.
Die Europäische Union hat etliche Krisen durchgemacht, die bis heute nicht bewältigt sind. 2015 schwappte ein Flüchtlingsstrom Vertriebener aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Libanon und weiteren afrikanischer Staaten in die Gemeinschaft, die die EU in eine schwere Krise stürzte und die die Defizite einer gemeinsamen Asylpolitik offenlegte. Man konnte sich nicht auf eine gerechte Aufteilung und Aufnahme von Flüchtlingen einigen. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei lehnen bis heute eine verpflichtende Verteilungsquote ab. Ungarn errichtete darüber hinaus Internierungslager für Flüchtlinge, in denen katastrophale hygienische und menschenunwürdige Zustände herrschen. Die Flüchtlingskrise führte in vielen Mitgliedsstaaten zum Erstarken der extremen Rechte.
Die rasante Erweiterung der Mitgliedsstaaten hat die Entscheidungsfähigkeit der EU behindert und eingeschränkt.
Die Schuldenkrise ist eine Folge der ungleichen ökonomischen Entwicklung der Mitgliedsstaaten (Europa der zwei Geschwindigkeiten) und hat zu Spaltungsbestrebungen derer geführt, die sich den Kreditbedingungen der Europäischen Kommission nicht beugen wollten. Das gilt besonders für Griechenland. Der Grexit konnte gerade noch verhindert werden, nicht jedoch der Brexit, der allerdings nicht in erster Linie der Schuldenkrise geschuldet ist, sondern den nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen Großbritanniens, das einen eigenen Weg bilateraler Vertragsgestaltung gehen will. Die Befürchtung, dass der Brexit einen Dominoeffekt auslösen würde, hat sich allerdings nicht bewahrheitet. Die wirtschaftlichen und vor allem politischen Nachteile des Brexits hat Großbritannien unterschätzt. Es muss heute befürchten, dass Nordirland und Schottland, die bei der EU bleiben wollen, sich vom Mutterland abspalten. So hat sich im Nachhinein die Europäische Gemeinschaft der 27 verbliebenen Mitgliedsstaaten als stärker und beständiger erwiesen als allgemein angenommen.
Europa kann im globalen Wettstreit der Weltmächte USA, China, Russland und Indien nur bestehen, wenn es als europäische Gemeinschaft eine gemeinsame, einheitliche Wirtschaftspolitik betreibt und politisch mit einer Stimme spricht.
Die Klammer, die die Europäische Union letztlich zusammenhält, liegt in ihren Werten der Freiheit, der Achtung der Menschenrechte und der demokratisch legitimierten Rechtsstaatlichkeit, zu denen sie sich im Vertrag von Lissabon verpflichtet hat und durch die sie sich von den autoritären und diktatorischen Regimen unterscheidet.
Wer heute immer noch die EU ablehnt, hat nicht begriffen, dass wir die Freizügigkeit, Niederlassungsfreiheit und überregionale Arbeitsmöglichkeit, samt gemeinsamer Standards des Umwelt- Klima- Pflanzen- und Gewässerschutzes der Gründung der Europäischen Union verdanken. Insoweit dient die Wahrnehmung gesamteuropäischer Interessen auch dem eigenen Staat.
Die Kampfparole der AFD: Die EU muss sterben, damit Deutschland lebt, kann man nur als billige, populistische Wählermobilisierung bezeichnen und zeugt von einer unglaublichen Geschichtsvergessenheit.
Der Europagedanke hat eine lange Tradition. Die Wurzeln Europas und damit der Ursprung seiner Werte liegen in der Griechischen Philosophie, dem Römischen Recht und dem Christentum.
Vielen Dank. Schön das einmal wieder so zu lesen. Schnörkellos.