Zeus und Amahle. Eine mythische Epiphanie
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Zeus und Amahle. Eine mythische Epiphanie 

Auf einer Reise von Athen nach Berlin verfiel ich in eine Art somnabulen Zustand, der bekanntlich gut geeignet ist, allerlei Phantastereien zu produzieren. Mein von der langen Bahnfahrt an einem heißen Sommertag getrübter Verstand jedenfalls arbeitete wenig zufriedenstellend, als mir gegenüber plötzlich ein alter Mann mit weißem Haar und langem Bart in recht eigenwilliger, altertümlich anmutender Kleidung Platz nahm. Es war noch eines dieser altmodischen Abteile mit sechs Sitzen. Außerdem saß ich alleine, allzu viele Leute verspürten wohl keine Lust, im Juli mit dem Zug von Griechenland nach Deutschland zu reisen. Meine Epiphanie behauptete Homer zu sein, ich wüsste schon, der mit der Ilias. Ich nickte, tatsächlich, ich hätte von ihm gehört, konnte ich ihm versichern. Er schien zufrieden und sprach weiter. „Macht ihr euch eigentlich manchmal Gedanken, was aus Europa geworden ist?“ Ich nickte abermals. „Ständig“. Er schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. „Sind Sie echt?“ wagte ich zu fragen. (Im Hinterkopf fühle ich mich an Heine erinnert, der seinen Erzähler des Wintermärchens dem alten Friedrich Barbarossa begegnen lässt.) Auch darauf antwortete er nicht. „Ich erzähle dir jetzt eine Geschichte.“ Jetzt war es an mir zu nicken, und bevor ich mir weitere Gedanken über meinen psychischen Zustand machen konnte, begann er. „Mal angenommen, es wäre nicht die schöne Europa gewesen, des mächtigen Agenors junge Tochter, auf die der stets lüsterne Zeus seinen begehrenden Blick geworfen hätte. Vielmehr hätte er die Eine, die zu besitzen er trachtete, in Afrika entdeckt. Amahle, die Schöne, hätte sie geheißen, so denken wir es uns. Weiterhin nehmen wir an, dass Amahle keineswegs so beeindruckt und ergeben war, wie der umtriebige Göttervater es kannte. Zwar angetan von seiner machtumspielten Männlichkeit, hätten ihr Freiheitssinn und Stolz gleichwohl danach verlangt, die Spielregeln mitzubestimmen. Sich so einfach von einem Stier, wie mächtig, stark und beeindruckend auch immer, nach Kreta verschleppen zu lassen… für Amahle war dies keine Option, denn anders als die scheue Phönizierprinzessin, mit deren Namen ebensoviel Kriege, Leid, Not und Unrecht wie Ideale und Hoffnung verbunden sind, war sie eine erwachsene Frau, deren magische Kräfte verehrt wurden. ‚Wenn du mich willst, dann bleibst du hier! Sieh dich um, warum sollte ich meine Heimat verlassen! Du bist ein Gott, schwing dich in den Himmel und bewundere mein Land.’ Recht unmissverständlich und für einen erfolgsverwöhnten Gott wie ihn höchst ungewohnt, konfrontierte sie ihn. Nehmen wir außerdem an, Zeus hätte nachgegeben, zu hingerissen von ihrer Schönheit, ihrer Kraft und ihrer Unnachgiebigkeit; sie sollte es sein. Immerhin gestattete sie dem Gott, seinen neuen Kontinent nach ihr zu benennen und gebar ihm drei schöne Töchter, so stolz und klug wie die Mutter. Bevor sie sich ihm hingab, musste er jedoch noch einige alte Geschichten klären. Das passte unserem Göttervater nicht, denn heimlich fürchtete er den Zorn Heras, wurde dieser doch angefacht von einer ziemlich wüsten Eifersucht. Zeus versuchte Amahle umständlich und wortreich zu erklären, dass Hera ihre Rache auf sie richten würde und rückte erst ganz zum Schluss seines weitschweifigen Monologs damit heraus, dass die Göttin, als Hüterin der Ehe angebetet, nicht etwa nur seine viel zu oft betrogene Gattin, sondern auch seine Schwester war. Unser stattlicher Gott konnte froh sein, dass Amahle ihn nach dieser Offenbarung überhaupt noch eines Blickes würdigte. Doch welch ein Blick war es dann, der Zeus traf. „Du räumst auf dem deinem Berg gründlich auf, egal wie lange es dauert. Erst danach kommst du zu mir zurück. Ich warte auf dich.“ Und Zeus räumte auf, Einzelheiten dieser Aktion ersparen wir uns, zu bekannt ist Zeus’ durchschlagende Überzeugungskraft, wenn die Dinge sich nicht nach seinen Vorstellungen entwickelten. So viel sei jedoch gesagt, es gelang ihm letzten Endes, indem er Heras Macht über die unübersichtliche Götter- und Halbgötterwelt stärkte, was sage ich, sie wurde der Boss. Wir können davon ausgehen, dass auch hier einige Überredungskunst von Nöten war, denn die Götterschar war nicht bekannt für ihre Fügsamkeit. Befreit von dem Gift der Eifersucht (und Zeus), entfaltete Hera ihre Gaben und hatte auch ein wohlwollendes Auge auf den noch schutzbedürftigen neuen Kontinent.  Auf Minos müssten wir in dieser Version leider verzichten, hat Zeus seinen Blick ja nicht nach Asien schweifen lassen, aber wer weiß, wozu dieser fiktive Verlust uns verholfen hätte. Was aus Europa geworden ist? Nun, ihr Vater wird sie verheiratet haben, vielleicht aber auch nicht und sie hat den mächtigen Phönizierkönig beerbt. Das Ganze dürfte besser ausgegangen sein, nachdem Zeus seine Finger nicht mehr im Spiel hatte. Mit den Jahren öffnete dieser jedenfalls sein von Amahles Liebe und Hartnäckigkeit erweichtes Herz den Schönheiten Afrikas. Übrigens haben die Amahler bei veränderter Legendengrundlage das Wort Barbar nicht ihren Sprachen beigefügt, überhaupt entwickelten die Amahler kein anderes Bedürfnis als mit anderen Teilen der Welt in Austausch zu treten. Man war mehr neugierig als eroberungslustig. Der Kontinent Amahle gedieh also unter dem Einfluss von Zeus’ ebenso weiser wie schöner Geliebten, auch mischte sich Hera, befreit von dem Einfluss ihres Brudergatten, hier und dort recht mütterlich in die Geschicke des Kontinents ein. (Varianten besagen übrigens, dass Amahle positiv auf Hera eingewirkt haben soll, sodass Eroberungen fremder Welten unnötig wurden, aber bestätigt ist nichts.) Sicher ist nur, dass es Amahle sogar gelang, den Machtwillen des unbändigen und zornigen Gottes zu mildern und die Geburt der amahlischen Kultur wird dieser Fassung nach zurückgeführt auf die Bändigung des altgriechischen Gottes unter einem Baobab.“ Der Alte hörte abrupt auf. „Und? Was nun?“ Meine Anmerkung hörte sich dümmlich-pubertär an und ich biss mir auf die Zunge. „Du glaubst also, ich liefere die Deutungen inklusive. Da hast du dich getäuscht. Selbst für dich wird es aber nicht so schwer sein.“ Er klang nicht freundlich, und ich senkte den Kopf. Als ich ihn kurz darauf wieder hob, war Homer verschwunden und ich blieb ähnlich verdutzt zurück wie seinerzeit Heines Reisender. 

Name der Autorin/des Autors
Sabine Maria Ludwig
Link zur AutorInnen-Website
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